Somatische Techniken - Traumaheilung
Wenn der Körper die Sprache des Traumas spricht: Mein Weg zur somatischen Heilung
Meine ersten bewusst erlebten starken Angstzustände mit Panikattacken hatte ich in meiner Jugend- im Konfirmantenalter. Erst diffus.. ein Unbehagen. Auf körperlicher Ebene mit permanenter Übelkeit und später immer öfter mit Erbrechen. Irgendwann wurden starke Panikattacken daraus.
Der vollbesetzten Schulbus war ein Albtraum: plötzlich fühlte sich mein Brustkorb an wie in einem Schraubstock. Mein Herz raste, die Luft wurde knapp, mir wurde übel, und mein einziger Gedanke war: Ich muss hier raus. Genauso das Eingesperrt sein im Klassenzimmer mit 20 anderen Schülern.
Was ich damals nicht wusste: Mein Körper erzählte eine Geschichte, die mein Verstand noch nicht verstanden hatte – eine Geschichte von Traumata, die sich tief in mein Nervensystem eingegraben hatten: der grausame Sterbeprozess meiner Oma und ihr Tod, Trennung der Eltern und anderes mehr.
Durch meine Biologielehrerin, die mich irgendwann ansprach, kam ich zur Atemtherapie. Das war mit 16 Jahren: Ich begann, mit meinem Körper zu arbeiten, dies war damals über die "Atemtherapie nach Prof. Ilse Middendorf", und zusammen mit einer wunderbaren Therapeutin, die es geschafft hat, mich zu stabilisieren.
Als ich mit ihr Achtsamkeit und Meditation in mein Leben integrierte, spürte ich echte Veränderung. Das war vor vielen Jahren, und ich weiss 35 Jahre später: Heilung ist kein Ziel, sondern ein lebenslanger Lernprozess. Ein Tanz (Tanzen hilft übrigens auch!) zwischen Verstehen und Fühlen, zwischen Gesprächstherapie (die ich dann das erste Mal mit 18 begann) und körperbasierter Arbeit.
Was ist somatische Arbeit?
Das Wort "somatisch" kommt vom griechischen "soma" – Körper. Somatische Arbeit bedeutet: mit dem Körper arbeiten, um emotionale und psychische Heilung zu ermöglichen. Sie basiert auf der Erkenntnis: Traumen und chronischer Stress speichern sich nicht nur in deinen Gedanken, in deinem Gehirn, sondern vor allem in deinem Körper.
Während traditionelle Gesprächstherapie über den Verstand arbeitet – Ereignisse analysiert, Muster erkennt, neue Perspektiven entwickelt –, geht somatische Arbeit einen anderen Weg. Sie erkennt an, dass dein Körper Erfahrungen und die dahinter stehenden Emotionen gespeichert hat, zu denen dein Verstand möglicherweise keinen bewussten Zugang hat. Die verspannten Schultern, der flache Atem, die Unruhe in den Beinen – das sind keine Zufälle. Das sind Botschaften.
Dein Nervensystem: Der stille Dirigent deines Lebens
Um zu verstehen, warum somatische Arbeit so wirksam ist, müssen wir uns dein Nervensystem ansehen – dieses faszinierende Netzwerk, das jeden Moment deines Lebens orchestriert, meist ohne dass du es bewusst wahrnimmst.
Dein autonomes Nervensystem hat zwei Hauptzweige, die wie zwei Pedale in einem Auto funktionieren:
Der Sympathikus ist dein Gaspedal. Er aktiviert dich, macht dich wach, bereit zu handeln. In Gefahrensituationen schaltet er auf Hochtouren: Dein Herz schlägt schneller, deine Muskeln spannen sich an, deine Atmung wird flacher. Das ist der berühmte Kampf-oder-Flucht-Modus. Evolutionär gesehen hat dieser Mechanismus dein Überleben gesichert.
Der Parasympathikus ist dein Bremspedal. Er aktiviert Ruhe, Verdauung, Heilung und soziale Verbindung. Er sagt deinem Körper: "Alles ist gut. Du kannst dich entspannen."
Bei einem gesunden, flexiblen Nervensystem wechseln diese Zustände flüssig – je nachdem, was die Situation erfordert. Stress, dann Entspannung. Aktivierung, dann Ruhe. Ein natürlicher Rhythmus.
Wenn das Trauma im Körper wohnt: Bindungs- und Entwicklungstraumata
Doch was passiert, wenn dieser Rhythmus gestört wird? Besonders Bindungs- und Entwicklungstraumata – also frühe kindlichen Erfahrungen von Unsicherheit, emotionaler Vernachlässigung, Überforderung oder fehlender Sicherheit in der Kindheit – prägen dein Nervensystem auf extremer Weise.
Stell dir vor, du bist ein Kind, und immer wenn du weinst, kommt niemand. Oder wenn du weinst, wird die Person, von der du abhängig bist, wütend. Oder du wächst in einem chaotischen, unvorhersehbaren Umfeld auf. Oder du hast Elternteile, die - selbst traumatisiert- emotional nicht erreichbar und nicht helfend präsent sind.
Dein kleines Nervensystem lernt: Die Welt ist nicht sicher. Ich muss ständig wachsam sein. Entspannung ist gefährlich.
Diese Programmierung geschieht nicht auf der Ebene des bewussten Denkens – sie wird in deinem Körper, in deinem Nervensystem verankert. Und hier liegt der entscheidende Punkt: Auch als Erwachsener reagiert dein Nervensystem immer noch auf diese alten Muster, selbst wenn die tatsächliche Gefahr längst vorbei ist.
Das erklärt, warum du vielleicht in völlig harmlosen Situationen in Panik gerätst. Warum ein kritischer Blick deines Partners dich in eine Spirale von Scham und Angst wirft. Warum du selbst nach einem entspannten Tag nicht zur Ruhe kommst. Dein Nervensystem agiert auf Grundlage alter Überlebensprogramme – nicht aufgrund deiner aktuellen Realität. Das ist eine Retraumatisierung.
Warum der Körper den Verstand braucht (und umgekehrt)
In meinem Heilungsprozess habe ich gelernt: Es gibt nicht den einen Weg. Manchmal brauche ich das Gespräch, die Analyse, das Verstehen. Ich bin ein Mensch, der die Zusammenhänge erkennen, Muster benennen, meine Geschichte in Worte fassen muss (auch niederschreiben). Diese Phasen sind kostbar – sie geben Orientierung und Bedeutung.
Aber dann gibt es Zeiten, da geht das Denken nur im Kreis. Da brauche ich den Körper. Denn Trauma ist nicht nur eine Geschichte, die erzählt werden muss – es ist eine Erfahrung, die durchlebt und integriert werden muss. Manche Wunden liegen tiefer als Worte reichen.
Die Wahrheit ist: Gesprächstherapie und somatische Techniken ergänzen sich wunderbar. Sie sind wie Atmung – Einatmen und Ausatmen. Manchmal brauchst du das eine, manchmal das andere…
Dein Nervensystem neu kalibrieren: Wie geht das?
Die gute Nachricht ist: Dein Nervensystem ist "neuroplastisch". Es kann lernen. Es kann neue Erfahrungen integrieren. Du kannst ihm beibringen, dass Sicherheit möglich ist, dass Entspannung keine Gefahr bedeutet, dass du heute nicht mehr das hilflose Kind von damals bist.
Somatische Arbeit hilft dir dabei, deinem Nervensystem neue Erfahrungen anzubieten – nicht durch Worte, sondern durch Empfindung, Bewegung, Atem und bewusste Präsenz. Du lernst, die Signale deines Körpers wahrzunehmen, zu verstehen und sanft zu beeinflussen.
Das geschieht nicht über Nacht. Es ist ein Prozess – manchmal frustrierend, oft überraschend, immer lohnend. Ich übe seit meiner Jugend, und noch heute entdecke ich neue Schichten, neue Möglichkeiten. Und auch dies: es gibt nach wie vor Situationen, die mich in Angst versetzen, mit denen ich schwer umgehen kann. Auch das ist normal.
Drei kleine somatische Übungen für deinen Alltag
Hier möchte ich dir drei einfache Praktiken mitgeben, die mir selbst geholfen haben und die du jederzeit in deinen Alltag integrieren kannst. Sie sind keine Wundermittel, aber sie sind Samen – kleine Interventionen, die mit der Zeit Wurzeln schlagen.
Übung 1: Der bewusste Atem – Deine innere Anker
Diese Übung basiert auf den Prinzipien der Atemtherapie nach Prof. Middendorf und ist mein persönlicher Rettungsanker in stürmischen Momenten geworden.
So geht's:
Warum das funktioniert: Dein Atem ist die Brücke zwischen deinem bewussten Willen und deinem autonomen Nervensystem. Eine verlängerte, entspannte Ausatmung aktiviert deinen Parasympathikus – dein Ruhesystem. Du gibst deinem Körper buchstäblich das Signal: "Die Gefahr ist vorbei."
Übung 2: Der Body-Scan – Deinen Körper wieder bewohnen
Viele von uns, die mit Traumata leben, haben gelernt, den Körper zu verlassen – wir sind "im Kopf", dissoziiert, abgeschnitten von unseren Empfindungen. Diese Übung hilft dir, wieder anzukommen.
So geht's:
Warum das funktioniert: Traumatisierte Nervensysteme haben oft den Kontakt zum Körper verloren oder nehmen ihn nur als Bedrohung, als einengend als schmerzend wahr. Der Body-Scan hilft dir, eine freundliche, neugierige Beziehung zu deinen Körperempfindungen aufzubauen. Du übst, präsent zu sein, ohne überwältigt zu werden.
Übung 3: Die Erdung – Sicherheit im Hier und Jetzt
Wenn dein Nervensystem in Alarmbereitschaft ist, verlierst du oft das Gefühl für das Hier und Jetzt. Diese Übung holt dich zurück.
So geht's:
Warum das funktioniert: Diese Übung kombiniert Erdung (über die Füße), sensorische Wahrnehmung und kognitive Orientierung. Sie holt dein Nervensystem aus der Vergangenheit (wo das Trauma lebt) ins Jetzt (wo du tatsächlich sicher bist). Sie ist besonders hilfreich bei Panikattacken, Flashbacks oder starker Überwältigung.
Deine Einladung zum Experimentieren
Ich möchte ehrlich mit dir sein: Diese Übungen werden nicht alle deine Probleme lösen. Sie sind keine magischen Werkzeuge. Aber sie sind Anfänge. Sie sind Möglichkeiten, eine andere Beziehung zu deinem Nervensystem aufzubauen – eine Beziehung, die auf Mitgefühl statt auf Kampf beruht.
Manche Tage wirst du diese Übungen machen und dich danach wunderbar fühlen. Andere Tage wird es sich mühsam anfühlen oder gar nichts bringen. Auch das ist ok. Heilung verläuft nicht linear. Es gibt Fortschritte und Rückschritte, gute Phasen und schwierige Phasen.
Was mir am meisten geholfen hat: die Erkenntnis, dass ich nicht "kaputt" oder unnormal bin und "repariert" werden muss. Mein Nervensystem hat genau das getan, was es tun musste, um mich zu schützen. Jetzt darf ich ihm behutsam beibringen, dass die Gefahr vorbei ist. Dass ich heute Ressourcen habe, die ich als Kind nicht hatte. Dass Entspannung erlaubt ist.
Vielleicht fühlst du dich manchmal ungeduldig. Du willst endlich "gesund" sein, endlich "normal" funktionieren. Ich kenne dieses Gefühl gut. Aber mit den Jahren habe ich etwas Kostbares gelernt: Der Weg selbst ist die Heilung, es ist ein Reifeprozess. Jeder achtsame Atemzug, jede Minute, in der du deinen Körper bewusst wahrnimmst, jede kleine Übung – das alles ist nicht die Vorbereitung auf das Leben. Das ist das Leben.
Dein Nervensystem hat dich so lange beschützt. Jetzt darfst du ihm helfen, sich zu entspannen. Schritt für Schritt. Atemzug für Atemzug.
Und denk daran: Wenn die körperbasierte Arbeit an ihre Grenzen stößt, ist das ein Zeichen, dass vielleicht wieder eine Phase des Sprechens, Verstehens und Analysierens ansteht. Und wenn das Denken sich im Kreis dreht, ist es Zeit, wieder in den Körper zurückzukehren. Dieser Wechsel ist nicht Scheitern – er ist Weisheit.
Therapien/Techniken, die mich sonst noch begleitet und mir geholfen haben:
Heilsames Berühren / Heilarbeit / Reiki
EFT
Metamorphose am Fuss
Psychokinesiologie nach Dr. Klinghardt
Achtsamkeit, Jacobsen Training und viele andere verschiedene Meditationstechniken, Tantrische Techniken (hierzu bald mehr).
Tanzen und Naturerleben (auch und v.a. mit Tieren: Hunde und Pferde).
Yin Yoga
Und natürlich auch psychotherapeutische Gespräche.
Meine ersten bewusst erlebten starken Angstzustände mit Panikattacken hatte ich in meiner Jugend- im Konfirmantenalter. Erst diffus.. ein Unbehagen. Auf körperlicher Ebene mit permanenter Übelkeit und später immer öfter mit Erbrechen. Irgendwann wurden starke Panikattacken daraus.
Der vollbesetzten Schulbus war ein Albtraum: plötzlich fühlte sich mein Brustkorb an wie in einem Schraubstock. Mein Herz raste, die Luft wurde knapp, mir wurde übel, und mein einziger Gedanke war: Ich muss hier raus. Genauso das Eingesperrt sein im Klassenzimmer mit 20 anderen Schülern.
Was ich damals nicht wusste: Mein Körper erzählte eine Geschichte, die mein Verstand noch nicht verstanden hatte – eine Geschichte von Traumata, die sich tief in mein Nervensystem eingegraben hatten: der grausame Sterbeprozess meiner Oma und ihr Tod, Trennung der Eltern und anderes mehr.
Durch meine Biologielehrerin, die mich irgendwann ansprach, kam ich zur Atemtherapie. Das war mit 16 Jahren: Ich begann, mit meinem Körper zu arbeiten, dies war damals über die "Atemtherapie nach Prof. Ilse Middendorf", und zusammen mit einer wunderbaren Therapeutin, die es geschafft hat, mich zu stabilisieren.
Als ich mit ihr Achtsamkeit und Meditation in mein Leben integrierte, spürte ich echte Veränderung. Das war vor vielen Jahren, und ich weiss 35 Jahre später: Heilung ist kein Ziel, sondern ein lebenslanger Lernprozess. Ein Tanz (Tanzen hilft übrigens auch!) zwischen Verstehen und Fühlen, zwischen Gesprächstherapie (die ich dann das erste Mal mit 18 begann) und körperbasierter Arbeit.
Was ist somatische Arbeit?
Das Wort "somatisch" kommt vom griechischen "soma" – Körper. Somatische Arbeit bedeutet: mit dem Körper arbeiten, um emotionale und psychische Heilung zu ermöglichen. Sie basiert auf der Erkenntnis: Traumen und chronischer Stress speichern sich nicht nur in deinen Gedanken, in deinem Gehirn, sondern vor allem in deinem Körper.
Während traditionelle Gesprächstherapie über den Verstand arbeitet – Ereignisse analysiert, Muster erkennt, neue Perspektiven entwickelt –, geht somatische Arbeit einen anderen Weg. Sie erkennt an, dass dein Körper Erfahrungen und die dahinter stehenden Emotionen gespeichert hat, zu denen dein Verstand möglicherweise keinen bewussten Zugang hat. Die verspannten Schultern, der flache Atem, die Unruhe in den Beinen – das sind keine Zufälle. Das sind Botschaften.
Dein Nervensystem: Der stille Dirigent deines Lebens
Um zu verstehen, warum somatische Arbeit so wirksam ist, müssen wir uns dein Nervensystem ansehen – dieses faszinierende Netzwerk, das jeden Moment deines Lebens orchestriert, meist ohne dass du es bewusst wahrnimmst.
Dein autonomes Nervensystem hat zwei Hauptzweige, die wie zwei Pedale in einem Auto funktionieren:
Der Sympathikus ist dein Gaspedal. Er aktiviert dich, macht dich wach, bereit zu handeln. In Gefahrensituationen schaltet er auf Hochtouren: Dein Herz schlägt schneller, deine Muskeln spannen sich an, deine Atmung wird flacher. Das ist der berühmte Kampf-oder-Flucht-Modus. Evolutionär gesehen hat dieser Mechanismus dein Überleben gesichert.
Der Parasympathikus ist dein Bremspedal. Er aktiviert Ruhe, Verdauung, Heilung und soziale Verbindung. Er sagt deinem Körper: "Alles ist gut. Du kannst dich entspannen."
Bei einem gesunden, flexiblen Nervensystem wechseln diese Zustände flüssig – je nachdem, was die Situation erfordert. Stress, dann Entspannung. Aktivierung, dann Ruhe. Ein natürlicher Rhythmus.
Wenn das Trauma im Körper wohnt: Bindungs- und Entwicklungstraumata
Doch was passiert, wenn dieser Rhythmus gestört wird? Besonders Bindungs- und Entwicklungstraumata – also frühe kindlichen Erfahrungen von Unsicherheit, emotionaler Vernachlässigung, Überforderung oder fehlender Sicherheit in der Kindheit – prägen dein Nervensystem auf extremer Weise.
Stell dir vor, du bist ein Kind, und immer wenn du weinst, kommt niemand. Oder wenn du weinst, wird die Person, von der du abhängig bist, wütend. Oder du wächst in einem chaotischen, unvorhersehbaren Umfeld auf. Oder du hast Elternteile, die - selbst traumatisiert- emotional nicht erreichbar und nicht helfend präsent sind.
Dein kleines Nervensystem lernt: Die Welt ist nicht sicher. Ich muss ständig wachsam sein. Entspannung ist gefährlich.
Diese Programmierung geschieht nicht auf der Ebene des bewussten Denkens – sie wird in deinem Körper, in deinem Nervensystem verankert. Und hier liegt der entscheidende Punkt: Auch als Erwachsener reagiert dein Nervensystem immer noch auf diese alten Muster, selbst wenn die tatsächliche Gefahr längst vorbei ist.
Das erklärt, warum du vielleicht in völlig harmlosen Situationen in Panik gerätst. Warum ein kritischer Blick deines Partners dich in eine Spirale von Scham und Angst wirft. Warum du selbst nach einem entspannten Tag nicht zur Ruhe kommst. Dein Nervensystem agiert auf Grundlage alter Überlebensprogramme – nicht aufgrund deiner aktuellen Realität. Das ist eine Retraumatisierung.
Warum der Körper den Verstand braucht (und umgekehrt)
In meinem Heilungsprozess habe ich gelernt: Es gibt nicht den einen Weg. Manchmal brauche ich das Gespräch, die Analyse, das Verstehen. Ich bin ein Mensch, der die Zusammenhänge erkennen, Muster benennen, meine Geschichte in Worte fassen muss (auch niederschreiben). Diese Phasen sind kostbar – sie geben Orientierung und Bedeutung.
Aber dann gibt es Zeiten, da geht das Denken nur im Kreis. Da brauche ich den Körper. Denn Trauma ist nicht nur eine Geschichte, die erzählt werden muss – es ist eine Erfahrung, die durchlebt und integriert werden muss. Manche Wunden liegen tiefer als Worte reichen.
Die Wahrheit ist: Gesprächstherapie und somatische Techniken ergänzen sich wunderbar. Sie sind wie Atmung – Einatmen und Ausatmen. Manchmal brauchst du das eine, manchmal das andere…
Dein Nervensystem neu kalibrieren: Wie geht das?
Die gute Nachricht ist: Dein Nervensystem ist "neuroplastisch". Es kann lernen. Es kann neue Erfahrungen integrieren. Du kannst ihm beibringen, dass Sicherheit möglich ist, dass Entspannung keine Gefahr bedeutet, dass du heute nicht mehr das hilflose Kind von damals bist.
Somatische Arbeit hilft dir dabei, deinem Nervensystem neue Erfahrungen anzubieten – nicht durch Worte, sondern durch Empfindung, Bewegung, Atem und bewusste Präsenz. Du lernst, die Signale deines Körpers wahrzunehmen, zu verstehen und sanft zu beeinflussen.
Das geschieht nicht über Nacht. Es ist ein Prozess – manchmal frustrierend, oft überraschend, immer lohnend. Ich übe seit meiner Jugend, und noch heute entdecke ich neue Schichten, neue Möglichkeiten. Und auch dies: es gibt nach wie vor Situationen, die mich in Angst versetzen, mit denen ich schwer umgehen kann. Auch das ist normal.
Drei kleine somatische Übungen für deinen Alltag
Hier möchte ich dir drei einfache Praktiken mitgeben, die mir selbst geholfen haben und die du jederzeit in deinen Alltag integrieren kannst. Sie sind keine Wundermittel, aber sie sind Samen – kleine Interventionen, die mit der Zeit Wurzeln schlagen.
Übung 1: Der bewusste Atem – Deine innere Anker
Diese Übung basiert auf den Prinzipien der Atemtherapie nach Prof. Middendorf und ist mein persönlicher Rettungsanker in stürmischen Momenten geworden.
So geht's:
- Setze oder lege dich bequem hin. Schließe die Augen, wenn sich das gut anfühlt. Wenn du sitzt: spüre dich in die Füsse. Erde dich. Übe Druck auf deine Fußsohlen aus.
- Atme nicht absichtlich tief oder kontrolliert – beobachte einfach, wie dein Atem kommt und geht, ganz von selbst.
- Lege eine Hand auf deinen Bauch, die andere auf deine Brust. Spüre, welche Bereiche sich beim Ein- und Ausatmen bewegen. Lenke deinen Atem zu den Stellen, an denen deine Hände liegen. Wechsle gerne die Positionen deiner Hände: auf die Schenkel, die Oberarme...
- Lass deinen Atem länger werden, jedoch ohne es zu erzwingen. Besonders die Ausatmung darf sich verlängern – das signalisiert deinem Nervensystem: "Es ist sicher, loszulassen."
- Mache das einige Minuten lang.
Warum das funktioniert: Dein Atem ist die Brücke zwischen deinem bewussten Willen und deinem autonomen Nervensystem. Eine verlängerte, entspannte Ausatmung aktiviert deinen Parasympathikus – dein Ruhesystem. Du gibst deinem Körper buchstäblich das Signal: "Die Gefahr ist vorbei."
Übung 2: Der Body-Scan – Deinen Körper wieder bewohnen
Viele von uns, die mit Traumata leben, haben gelernt, den Körper zu verlassen – wir sind "im Kopf", dissoziiert, abgeschnitten von unseren Empfindungen. Diese Übung hilft dir, wieder anzukommen.
So geht's:
- Setze oder lege dich bequem hin.
- Beginne bei deinen Füßen. Frage dich (ohne zu bewerten!): "Was spüre ich hier?" Vielleicht Wärme, Kälte, Kribbeln, Schwere, oder auch gar nichts – alles ist okay.
- Wandere langsam durch deinen Körper nach oben: Unterschenkel, Oberschenkel, Becken, Bauch, Brust, Arme, Schultern, Nacken, Gesicht, Kopf.
- Bleibe bei jedem Bereich ein paar Atemzüge. Urteile nicht über das, was du spürst – beobachte einfach nur.
- Wenn du angespannte Bereiche bemerkst, stell dir vor, wie dein Atem sanft dorthin fließt, wie du mit jedem Ausatmen ein bisschen mehr loslassen kannst, die Stelle weiter wird, sich ausdehnt.
- Die gesamte Übung dauert 10-15 Minuten.
Warum das funktioniert: Traumatisierte Nervensysteme haben oft den Kontakt zum Körper verloren oder nehmen ihn nur als Bedrohung, als einengend als schmerzend wahr. Der Body-Scan hilft dir, eine freundliche, neugierige Beziehung zu deinen Körperempfindungen aufzubauen. Du übst, präsent zu sein, ohne überwältigt zu werden.
Übung 3: Die Erdung – Sicherheit im Hier und Jetzt
Wenn dein Nervensystem in Alarmbereitschaft ist, verlierst du oft das Gefühl für das Hier und Jetzt. Diese Übung holt dich zurück.
So geht's:
- Stell dich mit beiden Füßen fest auf den Boden. Spüre den Kontakt deiner Fußsohlen mit dem Untergrund. "Denke dich in deine Füsse".
- Beuge leicht deine Knie und wippe sanft auf und ab, als würdest du deine Verbindung zur Erde testen.
- Sage dir innerlich oder laut: "Ich bin hier. Ich bin jetzt. Ich bin sicher." (Auch wenn du dich nicht sicher fühlst – diese Aussage ist für dein Nervensystem gedacht. Nicht für deinen Kopf)
- Schaue dich im Raum um. Benenne fünf Dinge, die du siehst. "Ich sehe einen Stuhl. Ich sehe ein Fenster. Ich sehe eine Pflanze..." Dann vier Dinge, die du hörst. Drei Dinge, die du körperlich spürst. Zwei Dinge, die du riechst. Ein Ding, das du schmeckst. Es ist wichtig, in so einer Situation die Augen offen zu haben. Sonst "schwirrst du ab" in die Vergangenheit, in das Trauma.
- Atme dabei ruhig weiter.
Warum das funktioniert: Diese Übung kombiniert Erdung (über die Füße), sensorische Wahrnehmung und kognitive Orientierung. Sie holt dein Nervensystem aus der Vergangenheit (wo das Trauma lebt) ins Jetzt (wo du tatsächlich sicher bist). Sie ist besonders hilfreich bei Panikattacken, Flashbacks oder starker Überwältigung.
Deine Einladung zum Experimentieren
Ich möchte ehrlich mit dir sein: Diese Übungen werden nicht alle deine Probleme lösen. Sie sind keine magischen Werkzeuge. Aber sie sind Anfänge. Sie sind Möglichkeiten, eine andere Beziehung zu deinem Nervensystem aufzubauen – eine Beziehung, die auf Mitgefühl statt auf Kampf beruht.
Manche Tage wirst du diese Übungen machen und dich danach wunderbar fühlen. Andere Tage wird es sich mühsam anfühlen oder gar nichts bringen. Auch das ist ok. Heilung verläuft nicht linear. Es gibt Fortschritte und Rückschritte, gute Phasen und schwierige Phasen.
Was mir am meisten geholfen hat: die Erkenntnis, dass ich nicht "kaputt" oder unnormal bin und "repariert" werden muss. Mein Nervensystem hat genau das getan, was es tun musste, um mich zu schützen. Jetzt darf ich ihm behutsam beibringen, dass die Gefahr vorbei ist. Dass ich heute Ressourcen habe, die ich als Kind nicht hatte. Dass Entspannung erlaubt ist.
Vielleicht fühlst du dich manchmal ungeduldig. Du willst endlich "gesund" sein, endlich "normal" funktionieren. Ich kenne dieses Gefühl gut. Aber mit den Jahren habe ich etwas Kostbares gelernt: Der Weg selbst ist die Heilung, es ist ein Reifeprozess. Jeder achtsame Atemzug, jede Minute, in der du deinen Körper bewusst wahrnimmst, jede kleine Übung – das alles ist nicht die Vorbereitung auf das Leben. Das ist das Leben.
Dein Nervensystem hat dich so lange beschützt. Jetzt darfst du ihm helfen, sich zu entspannen. Schritt für Schritt. Atemzug für Atemzug.
Und denk daran: Wenn die körperbasierte Arbeit an ihre Grenzen stößt, ist das ein Zeichen, dass vielleicht wieder eine Phase des Sprechens, Verstehens und Analysierens ansteht. Und wenn das Denken sich im Kreis dreht, ist es Zeit, wieder in den Körper zurückzukehren. Dieser Wechsel ist nicht Scheitern – er ist Weisheit.
Therapien/Techniken, die mich sonst noch begleitet und mir geholfen haben:
Heilsames Berühren / Heilarbeit / Reiki
EFT
Metamorphose am Fuss
Psychokinesiologie nach Dr. Klinghardt
Achtsamkeit, Jacobsen Training und viele andere verschiedene Meditationstechniken, Tantrische Techniken (hierzu bald mehr).
Tanzen und Naturerleben (auch und v.a. mit Tieren: Hunde und Pferde).
Yin Yoga
Und natürlich auch psychotherapeutische Gespräche.