Trauma
Angst vor Verlust, und das Gefühl alleine zu sein
Wenn die Angst vor Verlust dein ständiger Begleiter ist

Vielleicht kennst du dieses Gefühl: Du wachst nachts auf, und sofort ist sie da – diese Angst, die sich wie ein schwerer Stein auf deine Brust legt. Die Gedanken rasen los: Was, wenn meinem Partner etwas passiert? Was, wenn mein Kind verunglückt? Was, wenn mein geliebtes Tier plötzlich stirbt? Die Szenarien werden immer detaillierter, immer schrecklicher, und du fühlst dich wie gefangen in einem Film, den du nicht abschalten kannst.
Ich kenne dieses Gefühl. Viele Menschen kennen es. Und ich möchte dir heute sagen: Du bist nicht verrückt. Du bist nicht überempfindlich. Und vor allem: Du bist nicht allein.
Wenn Katastrophengedanken zur Dauerschleife werden
Verlustangst ist mehr als nur ein gelegentlicher Sorgengedanke. Sie ist ein tiefes, oft körperlich spürbares Gefühl der Bedrohung. Dein Nervensystem ist im Dauereinsatz, ständig auf der Hut, immer wachsam. Sogar nachts im Schlaf. Es scannt die Umgebung nach Gefahren – auch wenn rational betrachtet gerade alles in Ordnung ist.
Diese Katastrophengedanken sind keine Zeichen von Schwäche. Sie sind oft Überlebensstrategien, die dein System entwickelt hat, um dich zu schützen. Dein Gehirn versucht, durch ständige Kontrolle und Vorwegnahme des Schlimmsten, dich auf alle Eventualitäten vorzubereiten. Wenn ich mir schon jetzt alles Schreckliche vorstelle, bin ich vorbereitet. Wenn ich alles unter Kontrolle halte, kann nichts Schlimmes passieren.
Doch die Wahrheit ist: Diese ständige Wachsamkeit erschöpft dich. Sie raubt dir den Schlaf, die Leichtigkeit, die Freude am Hier und Jetzt. Die Freude am Leben.
Die Wurzeln der Angst: Wenn Vergangenheit zur Gegenwart wird
Sehr oft – nicht immer, aber oft – hat intensive Verlustangst ihre Wurzeln in frühen Erfahrungen. Vielleicht hast du als Kind plötzlich einen Menschen oder ein geliebtes Tier verloren. Vielleicht war eine wichtige Bezugsperson emotional nicht verfügbar oder unberechenbar. Vielleicht musstest du früh lernen, dass Menschen, die du liebst, plötzlich verschwinden können – durch Tod, Trennung oder emotionalen Rückzug.
Das kindliche Nervensystem ist darauf ausgelegt, sich anzupassen und zu überleben. Wenn wir als Kinder Verlust erleben, speichert unser System eine wichtige Botschaft ab: Bindung ist gefährlich. Liebe kann wehtun. Ich muss wachsam bleiben. Ich muss die Kontrolle haben. Dein Nervensystem hat dich so versucht zu schützen. Es hat dich getragen, auch da wo andere nicht für dich da waren, dich nicht gesehen haben. Es hat einen ziemlich guten Job gemacht. Es hat dich gerettet. Und das war damals richtig und wichtig.
Das ist Retraumatisierung: Nicht die bewusste Erinnerung an das damalige Ereignis belastet dich heute, sondern dein vegetatives Nervensystem reagiert auf aktuelle Situationen so, als wärst du wieder in jener Situation von damals. Es sieht den Unterschied von damals und heute nicht.
Ein geliebter Mensch kommt zehn Minuten später nach Hause – und dein Körper schlägt Alarm, als wäre es eine lebensbedrohliche Situation. Dein Partner geht alleine spazieren – und in dir entsteht Panik, obwohl du rational weißt, dass alles in Ordnung ist.
Dein Nervensystem unterscheidet nicht zwischen damals und heute. Es kennt nur: Damals war ich hilflos. Damals konnte ich nichts tun. Also muss ich jetzt alles kontrollieren.
Das unsichtbare Erbe: Wie sich Verlustangst im Körper zeigt
Verlustangst ist keine rein mentale Angelegenheit. Sie manifestiert sich tief in deinem Körper, in deinem vegetativen Nervensystem – jenem Teil von dir, der autonom arbeitet, ohne dass du bewusst Einfluss nehmen kannst.
Typischen körperlichen Symptome:
Dein Körper befindet sich im Zustand der permanenten Kampf-oder-Flucht-Reaktion. Das sympathische Nervensystem – zuständig für Aktivierung und Gefahrenreaktion – ist dauerhaft hochgefahren. Der parasympathische Gegenspieler, der für Ruhe, Verdauung und Regeneration sorgt, kommt kaum noch zum Zug.
Hier ist aber auch die Chance zur Heilung- das vegetative Nervensystem. Viele Methoden setzen hier an. Heilung geschieht durch den Körper. Nicht durch das Durchdenken!
Die Last der Verantwortung und das Gefühl, allein zu sein
Was die Verlustangst oft noch schwerer macht, ist das Gefühl enormer Verantwortung. Du fühlst dich verantwortlich für das Wohlergehen der Menschen und Tiere, die du liebst. Wenn ich nur aufmerksam genug bin, wenn ich nur alles richtig mache, kann ich sie beschützen.
Doch diese Verantwortung ist übermenschlich. Sie lastet schwer auf deinen Schultern und führt dazu, dass du dich innerlich völlig allein fühlst. Denn wer trägt dich? Wer passt auf dich auf? Wer gibt dir die Erlaubnis, auch mal loszulassen?
Vielleicht hast du als Kind gelernt, dass du für andere stark sein musst. Dass deine eigenen Bedürfnisse zurückstehen müssen. Dass du derjenige bist, der für alle sorgt – während niemand für dich sorgt. Das können auch ganz unbewusste Gedanken sein.
Dieses tiefe Gefühl des Alleinseins verstärkt die Angst noch mehr. Denn im Kern geht es bei Verlustangst oft nicht nur um die Angst vor dem Verlust des anderen – sondern um die Angst, dann völlig allein, völlig schutzlos dazustehen.
Wege zur Heilung:
Heilende Sätze: Worte, die dein Nervensystem beruhigen können
Manchmal brauchen wir Worte, die wie Balsam auf unser aufgewühltes Nervensystem wirken. Sätze, die wir uns selbst sagen können – laut oder leise, morgens oder nachts, wenn die Angst besonders groß ist.
Diese Sätze sind keine magischen Formeln, die alles sofort auflösen. Aber sie können wie sanfte Anker wirken, die dich ins Hier und Jetzt zurückholen:
Für das innere Kind, das damals Verlust erlebt hat:
Für die Angst vor Verlust:
Für das erschöpfte Nervensystem:
Für das Gefühl des Alleinseins:
Regulierende Sätze für akute Momente:
Sprich diese Sätze laut aus, wenn es geht. Leg eine Hand auf dein Herz oder deinen Bauch, während du sie sagst. Lass sie durch deinen Körper vibrieren. Dein Nervensystem lernt durch Wiederholung und durch das Erleben im Körper – nicht nur durch rationales Verstehen.
Was du selbst tun kannst: Wege zur Selbstfürsorge und Regulation
Der Weg aus der chronischen Verlustangst ist ein längerer Prozess. Es geht nicht darum, die Angst sofort zu beseitigen, sondern darum, Schritt für Schritt dein Nervensystem zu regulieren und neue Erfahrungen von Sicherheit zu schaffen. Es geht auch darum, die Angst anzuerkennen. Sie zu sehen und zu akzeptieren.
1. Atemtechniken: Das Tor zum Nervensystem
Die Atmung ist die einzige Körperfunktion, die sowohl autonom als auch willentlich gesteuert werden kann. Dadurch ist sie eine Brücke zum vegetativen Nervensystem.
a. Die 4-7-8-Atmung (nach Dr. Andrew Weil):
Diese Technik aktiviert den Parasympathikus und signalisiert deinem Körper: "Es ist sicher. Du darfst dich entspannen."
b. Die Bauchatmung: Lege eine Hand auf deinen Bauch. Atme so ein, dass sich dein Bauch hebt – nicht deine Brust. Beim Ausatmen sinkt der Bauch wieder. Atme bewusst langsamer und tiefer, als du es normalerweise tust. Diese Art der Atmung beruhigt das Nervensystem nachweislich.
c. Die Summ-Atmung: Atme durch die Nase ein und beim Ausatmen summst du wie eine Biene. Die Vibration im Körper aktiviert den Vagusnerv, der für Entspannung und Regeneration zuständig ist.
2. EFT (Emotional Freedom Techniques) – Klopfen gegen die Angst
EFT, auch Klopfakupressur genannt, ist eine sanfte Methode, bei der du mit den Fingerspitzen auf bestimmte Meridianpunkte deines Körpers klopfst, während du dich auf ein belastendes Gefühl konzentrierst.
So funktioniert es:
EFT wirkt beruhigend auf das limbische System – den emotionalen Teil deines Gehirns – und kann Angstspitzen deutlich reduzieren.
3. Körperbasierte Ansätze
a. Progressive Muskelentspannung: Spanne nacheinander verschiedene Muskelgruppen für 5-7 Sekunden an (Fäuste, Arme, Schultern, Gesicht, Bauch, Beine) und lass dann bewusst los. Dein Körper lernt dadurch, den Unterschied zwischen Anspannung und Entspannung wieder zu spüren.
b. Achtsamkeit und Body-Scan: Nimm dir täglich 10-15 Minuten Zeit, um bewusst durch deinen Körper zu "wandern". Beginne bei den Füßen und arbeite dich nach oben vor. Wo spürst du Anspannung? Wo ist es entspannt? Beurteile nicht, beobachte nur.
c. Bewegung und Embodiment: Dein Körper will die überschüssige Stressenergie loswerden. Geh spazieren, tanze zu deiner Lieblingsmusik, schüttle deinen Körper aus, spring auf der Stelle. Lass die Energie raus.
d. Erdung (Grounding): Wenn die Angst dich überflutet, bring dich ins Hier und Jetzt zurück:
4. Tagebuch und Gedankenstopp
a. Das Sorgentagebuch: Schreibe deine Ängste auf – alle, ungefiltert. Oft verlieren sie dadurch schon an Macht. Frage dich dann: "Welche dieser Sorgen kann ich tatsächlich beeinflussen? Und welche nicht?" Konzentriere dich auf das, was in deiner Macht steht.
b. Die Sorgenzeit: Erlaube dir eine feste Zeit am Tag (z.B. 15 Minuten um 18 Uhr), in der du dir Sorgen machen darfst. Wenn vorher Ängste auftauchen, sag dir: "Nicht jetzt. Ich kümmere mich später um dich." Das klingt seltsam, funktioniert aber erstaunlich gut.
5. Selbstmitgefühl kultivieren
Sprich mit dir selbst, wie du mit deiner besten Freundin sprechen würdest. Nicht: "Stell dich nicht so an!" Sondern: "Ich sehe, dass du Angst hast. Das ist schwer für dich. Wie kann ich dir gerade helfen?"
Die Hand aufs Herz legen: Eine einfache, aber kraftvolle Geste. Wenn die Angst kommt, leg deine Hand auf dein Herz und atme bewusst dorthin. Das aktiviert das Bindungs- und Fürsorgesystem in deinem Gehirn.
6. Gemeinschaft und Verbindung
Sprich darüber: Teile deine Ängste mit Menschen, denen du vertraust. Oft fühlen wir uns mit unseren Ängsten so allein – und stellen dann fest, dass andere ähnliche Erfahrungen machen.
Suche Unterstützung: Selbsthilfegruppen, Online-Communities oder auch nur ein verständnisvoller Freund können einen enormen Unterschied machen. Du musst nicht alleine damit fertig werden. Und natürlich die Unterstützung bei professionellen Therapeuten.
7. Grenzen setzen bei Triggern
Wenn Nachrichten, soziale Medien oder bestimmte Gespräche deine Katastrophengedanken triggern, ist es vollkommen in Ordnung, Grenzen zu setzen. Du darfst Nachrichten-Detox machen. Du darfst "Nein" zu dramatischen Gesprächen sagen.
8. Rituale der Sicherheit etablieren
Entwickle kleine, tägliche Rituale, die deinem Nervensystem Sicherheit signalisieren:
Wiederholung und Vorhersehbarkeit beruhigen dein Nervensystem.
Der Weg ist das Ziel
Verlustangst zu überwinden ist kein linearer Prozess. Es gibt gute Tage und schwierige Tage. Rückschritte sind normal und gehören dazu. Sei geduldig mit dir.
Jedes Mal, wenn du eine Atemübung machst, auch wenn die Angst danach wiederkommt – du hast deinem Nervensystem eine neue Erfahrung geschenkt. Jedes Mal, wenn du dir einen heilenden Satz sagst, auch wenn du ihm noch nicht vollständig glaubst – du pflanzt einen Samen.
Dein Nervensystem hat Jahre oder Jahrzehnte gebraucht, um diese Schutzmechanismen zu entwickeln. Es braucht Zeit und Geduld, um neue, gesündere Muster zu etablieren. Aber es ist möglich. Du bist nicht festgelegt auf diese Angst.
Und vielleicht, eines Tages, wachst du auf und merkst: Die Angst ist leiser geworden. Sie ist vielleicht noch da, aber sie bestimmt nicht mehr dein ganzes Leben. Du kannst wieder durchatmen. Du kannst die Menschen und Tiere, die du liebst, wieder mit Freude statt mit Furcht betrachten.
Du kannst wieder im Moment sein – statt ständig in der Katastrophe von morgen.
Wichtiger Hinweis
Dieser Blogbeitrag ersetzt keine professionelle psychotherapeutische oder medizinische Behandlung. Wenn deine Ängste dich stark im Alltag einschränken, du unter starken Panikattacken leidest oder suizidale Gedanken hast, such dir bitte professionelle Hilfe!
Verlustangst und Traumafolgen sind gut behandelbar. Es gibt wunderbare therapeutische Ansätze wie EMDR, Somatic Experiencing, traumafokussierte Verhaltenstherapie oder tiefenpsychologische Verfahren, die dir helfen können, die Wurzeln deiner Angst zu heilen.
Du musst das nicht alleine durchstehen. Es ist ein Zeichen von Stärke, sich Unterstützung zu holen.

Vielleicht kennst du dieses Gefühl: Du wachst nachts auf, und sofort ist sie da – diese Angst, die sich wie ein schwerer Stein auf deine Brust legt. Die Gedanken rasen los: Was, wenn meinem Partner etwas passiert? Was, wenn mein Kind verunglückt? Was, wenn mein geliebtes Tier plötzlich stirbt? Die Szenarien werden immer detaillierter, immer schrecklicher, und du fühlst dich wie gefangen in einem Film, den du nicht abschalten kannst.
Ich kenne dieses Gefühl. Viele Menschen kennen es. Und ich möchte dir heute sagen: Du bist nicht verrückt. Du bist nicht überempfindlich. Und vor allem: Du bist nicht allein.
Wenn Katastrophengedanken zur Dauerschleife werden
Verlustangst ist mehr als nur ein gelegentlicher Sorgengedanke. Sie ist ein tiefes, oft körperlich spürbares Gefühl der Bedrohung. Dein Nervensystem ist im Dauereinsatz, ständig auf der Hut, immer wachsam. Sogar nachts im Schlaf. Es scannt die Umgebung nach Gefahren – auch wenn rational betrachtet gerade alles in Ordnung ist.
Diese Katastrophengedanken sind keine Zeichen von Schwäche. Sie sind oft Überlebensstrategien, die dein System entwickelt hat, um dich zu schützen. Dein Gehirn versucht, durch ständige Kontrolle und Vorwegnahme des Schlimmsten, dich auf alle Eventualitäten vorzubereiten. Wenn ich mir schon jetzt alles Schreckliche vorstelle, bin ich vorbereitet. Wenn ich alles unter Kontrolle halte, kann nichts Schlimmes passieren.
Doch die Wahrheit ist: Diese ständige Wachsamkeit erschöpft dich. Sie raubt dir den Schlaf, die Leichtigkeit, die Freude am Hier und Jetzt. Die Freude am Leben.
Die Wurzeln der Angst: Wenn Vergangenheit zur Gegenwart wird
Sehr oft – nicht immer, aber oft – hat intensive Verlustangst ihre Wurzeln in frühen Erfahrungen. Vielleicht hast du als Kind plötzlich einen Menschen oder ein geliebtes Tier verloren. Vielleicht war eine wichtige Bezugsperson emotional nicht verfügbar oder unberechenbar. Vielleicht musstest du früh lernen, dass Menschen, die du liebst, plötzlich verschwinden können – durch Tod, Trennung oder emotionalen Rückzug.
Das kindliche Nervensystem ist darauf ausgelegt, sich anzupassen und zu überleben. Wenn wir als Kinder Verlust erleben, speichert unser System eine wichtige Botschaft ab: Bindung ist gefährlich. Liebe kann wehtun. Ich muss wachsam bleiben. Ich muss die Kontrolle haben. Dein Nervensystem hat dich so versucht zu schützen. Es hat dich getragen, auch da wo andere nicht für dich da waren, dich nicht gesehen haben. Es hat einen ziemlich guten Job gemacht. Es hat dich gerettet. Und das war damals richtig und wichtig.
Das ist Retraumatisierung: Nicht die bewusste Erinnerung an das damalige Ereignis belastet dich heute, sondern dein vegetatives Nervensystem reagiert auf aktuelle Situationen so, als wärst du wieder in jener Situation von damals. Es sieht den Unterschied von damals und heute nicht.
Ein geliebter Mensch kommt zehn Minuten später nach Hause – und dein Körper schlägt Alarm, als wäre es eine lebensbedrohliche Situation. Dein Partner geht alleine spazieren – und in dir entsteht Panik, obwohl du rational weißt, dass alles in Ordnung ist.
Dein Nervensystem unterscheidet nicht zwischen damals und heute. Es kennt nur: Damals war ich hilflos. Damals konnte ich nichts tun. Also muss ich jetzt alles kontrollieren.
Das unsichtbare Erbe: Wie sich Verlustangst im Körper zeigt
Verlustangst ist keine rein mentale Angelegenheit. Sie manifestiert sich tief in deinem Körper, in deinem vegetativen Nervensystem – jenem Teil von dir, der autonom arbeitet, ohne dass du bewusst Einfluss nehmen kannst.
Typischen körperlichen Symptome:
- Schlaflosigkeit: Du liegst wach, dein Gehirn kann nicht abschalten. Entweder kannst du nicht einschlafen, oder du wachst mehrmals nachts auf, oft mit Herzrasen oder Angstgefühlen.
- Dauerspannung: Deine Schultern sind verspannt, dein Kiefer verkrampft. Dein Körper ist ständig in Alarmbereitschaft, als würdest du auf einen Startschuss warten.
- Herzrasen und Atemnot: Dein Herz klopft schneller, manchmal ohne ersichtlichen Grund. Deine Atmung wird flach und schnell.
- Magen-Darm-Probleme: Übelkeit, Durchfall, Appetitlosigkeit – dein Verdauungssystem reagiert auf den chronischen Stress.
- Hypervigilanz: Du bemerkst jedes Geräusch, jede Veränderung. Deine Sinne sind überschärft, du bist ständig auf der Hut. Du bist wie ein Seismograph.
Dein Körper befindet sich im Zustand der permanenten Kampf-oder-Flucht-Reaktion. Das sympathische Nervensystem – zuständig für Aktivierung und Gefahrenreaktion – ist dauerhaft hochgefahren. Der parasympathische Gegenspieler, der für Ruhe, Verdauung und Regeneration sorgt, kommt kaum noch zum Zug.
Hier ist aber auch die Chance zur Heilung- das vegetative Nervensystem. Viele Methoden setzen hier an. Heilung geschieht durch den Körper. Nicht durch das Durchdenken!
Die Last der Verantwortung und das Gefühl, allein zu sein
Was die Verlustangst oft noch schwerer macht, ist das Gefühl enormer Verantwortung. Du fühlst dich verantwortlich für das Wohlergehen der Menschen und Tiere, die du liebst. Wenn ich nur aufmerksam genug bin, wenn ich nur alles richtig mache, kann ich sie beschützen.
Doch diese Verantwortung ist übermenschlich. Sie lastet schwer auf deinen Schultern und führt dazu, dass du dich innerlich völlig allein fühlst. Denn wer trägt dich? Wer passt auf dich auf? Wer gibt dir die Erlaubnis, auch mal loszulassen?
Vielleicht hast du als Kind gelernt, dass du für andere stark sein musst. Dass deine eigenen Bedürfnisse zurückstehen müssen. Dass du derjenige bist, der für alle sorgt – während niemand für dich sorgt. Das können auch ganz unbewusste Gedanken sein.
Dieses tiefe Gefühl des Alleinseins verstärkt die Angst noch mehr. Denn im Kern geht es bei Verlustangst oft nicht nur um die Angst vor dem Verlust des anderen – sondern um die Angst, dann völlig allein, völlig schutzlos dazustehen.
Wege zur Heilung:
Heilende Sätze: Worte, die dein Nervensystem beruhigen können
Manchmal brauchen wir Worte, die wie Balsam auf unser aufgewühltes Nervensystem wirken. Sätze, die wir uns selbst sagen können – laut oder leise, morgens oder nachts, wenn die Angst besonders groß ist.
Diese Sätze sind keine magischen Formeln, die alles sofort auflösen. Aber sie können wie sanfte Anker wirken, die dich ins Hier und Jetzt zurückholen:
Für das innere Kind, das damals Verlust erlebt hat:
- "Damals war ich klein und hilflos. Heute bin ich erwachsen und habe Möglichkeiten."
- "Was damals passiert ist, war schrecklich. Aber es ist vorbei. Ich bin jetzt hier, in diesem Moment, und ich bin sicher."
- "Ich darf fühlen, was damals nicht gefühlt werden durfte. Meine Trauer darf sein."
Für die Angst vor Verlust:
- "Ich kann nicht alles kontrollieren, und das ist in Ordnung. Das Leben trägt mich, auch wenn ich loslasse."
- "Liebe bedeutet nicht, ständig Angst haben zu müssen. Liebe darf auch Leichtigkeit sein."
- "Jeder Moment mit den Menschen und Tieren, die ich liebe, ist wertvoll – gerade weil er nicht für immer ist."
Für das erschöpfte Nervensystem:
- "Mein Körper hat mich beschützt. Jetzt darf er zur Ruhe kommen."
- "Ich bin sicher. Genau jetzt, in diesem Moment, bin ich sicher."
- "Es ist nicht meine Aufgabe, alles zu kontrollieren. Ich darf vertrauen."
Für das Gefühl des Alleinseins:
- "Ich bin nicht allein. Es gibt Menschen, die mich sehen und halten."
- "Ich darf um Hilfe bitten. Ich muss nicht alles alleine tragen."
- "Ich bin es wert, Fürsorge zu empfangen – nicht nur zu geben."
Regulierende Sätze für akute Momente:
- "Das ist ein Gefühl. Es wird vorübergehen. Ich bin mehr als dieses Gefühl."
- "Meine Angst will mich schützen. Ich nehme sie wahr, aber ich muss ihr nicht folgen."
- "Ich atme ein. Ich atme aus. Ich bin hier."
Sprich diese Sätze laut aus, wenn es geht. Leg eine Hand auf dein Herz oder deinen Bauch, während du sie sagst. Lass sie durch deinen Körper vibrieren. Dein Nervensystem lernt durch Wiederholung und durch das Erleben im Körper – nicht nur durch rationales Verstehen.
Was du selbst tun kannst: Wege zur Selbstfürsorge und Regulation
Der Weg aus der chronischen Verlustangst ist ein längerer Prozess. Es geht nicht darum, die Angst sofort zu beseitigen, sondern darum, Schritt für Schritt dein Nervensystem zu regulieren und neue Erfahrungen von Sicherheit zu schaffen. Es geht auch darum, die Angst anzuerkennen. Sie zu sehen und zu akzeptieren.
1. Atemtechniken: Das Tor zum Nervensystem
Die Atmung ist die einzige Körperfunktion, die sowohl autonom als auch willentlich gesteuert werden kann. Dadurch ist sie eine Brücke zum vegetativen Nervensystem.
a. Die 4-7-8-Atmung (nach Dr. Andrew Weil):
- Atme durch die Nase ein und zähle dabei bis 4
- Halte den Atem an und zähle bis 7
- Atme durch den Mund aus und zähle bis 8
- Wiederhole dies 4-5 Mal
Diese Technik aktiviert den Parasympathikus und signalisiert deinem Körper: "Es ist sicher. Du darfst dich entspannen."
b. Die Bauchatmung: Lege eine Hand auf deinen Bauch. Atme so ein, dass sich dein Bauch hebt – nicht deine Brust. Beim Ausatmen sinkt der Bauch wieder. Atme bewusst langsamer und tiefer, als du es normalerweise tust. Diese Art der Atmung beruhigt das Nervensystem nachweislich.
c. Die Summ-Atmung: Atme durch die Nase ein und beim Ausatmen summst du wie eine Biene. Die Vibration im Körper aktiviert den Vagusnerv, der für Entspannung und Regeneration zuständig ist.
2. EFT (Emotional Freedom Techniques) – Klopfen gegen die Angst
EFT, auch Klopfakupressur genannt, ist eine sanfte Methode, bei der du mit den Fingerspitzen auf bestimmte Meridianpunkte deines Körpers klopfst, während du dich auf ein belastendes Gefühl konzentrierst.
So funktioniert es:
- Benenne das Problem: "Auch wenn ich diese große Angst habe, meine Liebsten zu verlieren, akzeptiere ich mich so, wie ich bin."
- Klopfe die Punkte: Klopfe nacheinander sanft mit zwei Fingern auf:
- Handkante
- Innenseite der Augenbraue
- Äußere Augenkante
- Unter dem Auge
- Unter der Nase
- Kinngrube
- Schlüsselbein
- Unter dem Arm (Seitliche Rippen)
- Oberseite des Kopfes
- Sprich dabei über dein Gefühl: "Diese Angst in meiner Brust... diese Panik, wenn mein Partner später kommt... diese ständige Sorge..."
- Wiederhole mehrere Runden
EFT wirkt beruhigend auf das limbische System – den emotionalen Teil deines Gehirns – und kann Angstspitzen deutlich reduzieren.
3. Körperbasierte Ansätze
a. Progressive Muskelentspannung: Spanne nacheinander verschiedene Muskelgruppen für 5-7 Sekunden an (Fäuste, Arme, Schultern, Gesicht, Bauch, Beine) und lass dann bewusst los. Dein Körper lernt dadurch, den Unterschied zwischen Anspannung und Entspannung wieder zu spüren.
b. Achtsamkeit und Body-Scan: Nimm dir täglich 10-15 Minuten Zeit, um bewusst durch deinen Körper zu "wandern". Beginne bei den Füßen und arbeite dich nach oben vor. Wo spürst du Anspannung? Wo ist es entspannt? Beurteile nicht, beobachte nur.
c. Bewegung und Embodiment: Dein Körper will die überschüssige Stressenergie loswerden. Geh spazieren, tanze zu deiner Lieblingsmusik, schüttle deinen Körper aus, spring auf der Stelle. Lass die Energie raus.
d. Erdung (Grounding): Wenn die Angst dich überflutet, bring dich ins Hier und Jetzt zurück:
- Nenne 5 Dinge, die du sehen kannst
- Nenne 4 Dinge, die du hören kannst
- Nenne 3 Dinge, die du fühlen/berühren kannst
- Nenne 2 Dinge, die du riechen kannst
- Nenne 1 Sache, die du schmecken kannst
4. Tagebuch und Gedankenstopp
a. Das Sorgentagebuch: Schreibe deine Ängste auf – alle, ungefiltert. Oft verlieren sie dadurch schon an Macht. Frage dich dann: "Welche dieser Sorgen kann ich tatsächlich beeinflussen? Und welche nicht?" Konzentriere dich auf das, was in deiner Macht steht.
b. Die Sorgenzeit: Erlaube dir eine feste Zeit am Tag (z.B. 15 Minuten um 18 Uhr), in der du dir Sorgen machen darfst. Wenn vorher Ängste auftauchen, sag dir: "Nicht jetzt. Ich kümmere mich später um dich." Das klingt seltsam, funktioniert aber erstaunlich gut.
5. Selbstmitgefühl kultivieren
Sprich mit dir selbst, wie du mit deiner besten Freundin sprechen würdest. Nicht: "Stell dich nicht so an!" Sondern: "Ich sehe, dass du Angst hast. Das ist schwer für dich. Wie kann ich dir gerade helfen?"
Die Hand aufs Herz legen: Eine einfache, aber kraftvolle Geste. Wenn die Angst kommt, leg deine Hand auf dein Herz und atme bewusst dorthin. Das aktiviert das Bindungs- und Fürsorgesystem in deinem Gehirn.
6. Gemeinschaft und Verbindung
Sprich darüber: Teile deine Ängste mit Menschen, denen du vertraust. Oft fühlen wir uns mit unseren Ängsten so allein – und stellen dann fest, dass andere ähnliche Erfahrungen machen.
Suche Unterstützung: Selbsthilfegruppen, Online-Communities oder auch nur ein verständnisvoller Freund können einen enormen Unterschied machen. Du musst nicht alleine damit fertig werden. Und natürlich die Unterstützung bei professionellen Therapeuten.
7. Grenzen setzen bei Triggern
Wenn Nachrichten, soziale Medien oder bestimmte Gespräche deine Katastrophengedanken triggern, ist es vollkommen in Ordnung, Grenzen zu setzen. Du darfst Nachrichten-Detox machen. Du darfst "Nein" zu dramatischen Gesprächen sagen.
8. Rituale der Sicherheit etablieren
Entwickle kleine, tägliche Rituale, die deinem Nervensystem Sicherheit signalisieren:
- Eine Tasse Tee am Morgen, in Ruhe getrunken
- Drei Dinge aufschreiben, für die du dankbar bist
- Ein kurzes Abendritual mit deinen Liebsten
- Eine Gute-Nacht-Routine, die immer gleich abläuft
Wiederholung und Vorhersehbarkeit beruhigen dein Nervensystem.
Der Weg ist das Ziel
Verlustangst zu überwinden ist kein linearer Prozess. Es gibt gute Tage und schwierige Tage. Rückschritte sind normal und gehören dazu. Sei geduldig mit dir.
Jedes Mal, wenn du eine Atemübung machst, auch wenn die Angst danach wiederkommt – du hast deinem Nervensystem eine neue Erfahrung geschenkt. Jedes Mal, wenn du dir einen heilenden Satz sagst, auch wenn du ihm noch nicht vollständig glaubst – du pflanzt einen Samen.
Dein Nervensystem hat Jahre oder Jahrzehnte gebraucht, um diese Schutzmechanismen zu entwickeln. Es braucht Zeit und Geduld, um neue, gesündere Muster zu etablieren. Aber es ist möglich. Du bist nicht festgelegt auf diese Angst.
Und vielleicht, eines Tages, wachst du auf und merkst: Die Angst ist leiser geworden. Sie ist vielleicht noch da, aber sie bestimmt nicht mehr dein ganzes Leben. Du kannst wieder durchatmen. Du kannst die Menschen und Tiere, die du liebst, wieder mit Freude statt mit Furcht betrachten.
Du kannst wieder im Moment sein – statt ständig in der Katastrophe von morgen.
Wichtiger Hinweis
Dieser Blogbeitrag ersetzt keine professionelle psychotherapeutische oder medizinische Behandlung. Wenn deine Ängste dich stark im Alltag einschränken, du unter starken Panikattacken leidest oder suizidale Gedanken hast, such dir bitte professionelle Hilfe!
Verlustangst und Traumafolgen sind gut behandelbar. Es gibt wunderbare therapeutische Ansätze wie EMDR, Somatic Experiencing, traumafokussierte Verhaltenstherapie oder tiefenpsychologische Verfahren, die dir helfen können, die Wurzeln deiner Angst zu heilen.
Du musst das nicht alleine durchstehen. Es ist ein Zeichen von Stärke, sich Unterstützung zu holen.